Wednesday, December 29, 2010

Doppelpunkt Popliteratur Magazin

Wie wichtig ist dir die Musik im Leben?

Es ist für mich eine phantastische Nebenwelt,
die sich durch Musik eröffnet. Musik berührte
mich schon immer, sie hat die Fähigkeit
Gefühle zu erwecken, die völlig losgelöst
von derzeitigen Geschehnissen aus
dem Inneren kommen. Musik geht tiefer
als Gedanken.


Wie bist du zum Singen gekommen?

Als Kind habe ich schon gesungen und das
Klavierspielen erlernt, in der Grundschule
bin ich in einen Chor geladen worden.
Habe es dann aber zu Teeniezeiten vorgezogen
als Training lieber auszugehen und zu lauter
Musik mitzusingen. Habe dann mit einem
Freund (Roland Voss, Lemongrass)
begonnen mit eigener Musik und
Texten zu arbeiten. Habe Gedichte in
deutscher Sprache und einige englische
Songtexte geschrieben. Dann habe ich
eine Weile die Musik und Literatur aus den
Augen, aber nie aus dem Herzen verloren,
um Geld zu verdienen. Vor 10 Jahren hatte
ich eine Operation, bei der eines meiner
Stimmbänder verletzt worden ist. Ich
hatte plötzlich keine Stimme mehr. Das
schlimmste daran war die Angst vielleicht
nie wieder singen zu können. Als nach drei
Monaten dann die Stimme zum Glück wieder
kam, war ich so dankbar darüber, dass
ich beschloss professionellen Unterricht
zu nehmen. So kam ich dann nach einiger
Zeit zu einer japanischen klassischen Kon-
zertsängerin Michiko Tobari, die mir über
Jahre die Ernsthaftigkeit in der Arbeit mit
Musik gelehrt hat, um Perfektion in einzelnen
Tönen zu erlangen. Dieses führte
dazu, dass ich fast Angst hatte zu singen,
um nicht unperfekt zu sein. Nach einigen
Jahren begegnete ich dem Gospel, in dem
so viel Emotion und Kraft liegt. Ein Jahr
habe ich zu der Entscheidung gebraucht,
entgegen der klassischen Stimmausbildung
den Schritt zum Gospel zu wagen.
Dort habe ich die Gospelsängerin Anke
Maria Caspari kennengelernt, die mir über
viele weitere Jahre Gesangsausbildung geholfen
hat, meine ganz eigene Stimme zu
finden und sich ihr zu stellen. Die Größe
meiner Stimme hat mich erst erschreckt,
es war schwer sie zuzulassen und meine
Gefühle nicht wieder hinter einer kleinen
Liebmädchenstimme zu verstecken. Einige
Jahre habe ich nun Gospels und Popsongs
gesungen, in unterschiedlichen Ensembles,
solistisch und chorisch, auf den Pfaden
von grandiosen Sängern wie Mahalia
Jackson, Elvis und Aretha Franklin. Das
war ein wichtiger Lehrweg, um mein Instrument
Stimme zu bilden. Dann begann ich nach
all den Jahren des Lernens wieder
eigene Songs zu schreiben und meine Musik
zu erschaffen.


War es nicht etwas komisch für
deine Eltern mitzuverfolgen, wie
sehr sich ihre Tochter in eine tiefergreifende
Musik findet, während
es doch mehr üblich ist das man mit
der Elektorgitarre das Haus zertrümmert?

Meine Mutter sagte kürzlich zu meiner
Musik „Du warst schon immer melancholisch
und verträumt, bereits als Kind“. Als
Ausgleich für meine traurigen Songs und
zur Stimmbildung habe ich in den letzten
Jahren oft Gospelsongs gesungen, um
Menschen Freude und Kraft zu spenden.
Dieses kam bei mir nicht aus einem religiösen
Gedanken. Eher ist es eine Energie,
die man mit Musik erwecken kann und die
die Menschen erreicht. Musik ist meine
Religion um Menschen Kraft und Hoffnung
zu geben. In besonderen Momenten ist es
möglich sich einfach nur zu öffnen und es
singen zu lassen. Das ist eine fast göttliche
Erfahrung. Ich bin im nicht künstlerischen
Leben ein eher fröhlicher, optimischer
Mensch, daher wundert es manchmal
Freunde, dass meine Musik so viel Traurigkeit
hat. Aber vielleicht ist es mein Weg,
um Geschehnisse zu verarbeiten und in
Neues zu verwandeln.


Denkst du, dass das Singen für dich
eine Art Sprache ist?

Musik ist eine Sprache, die das ausdrückt,
wofür man keine Worte finden kann und
was noch gesagt werden soll. Wenn ich
Musik mache, dann entsteht sie nah an
den Texten. Und der Song drückt die Stim-
mung aus den Texten aus und erschafft
somit eine neue Welt der Imagination.


Ist das Singen für dich eine Art dich
auszudrücken?

Manchmal muss man aufpassen, dass man
in Konzerten nicht zu viel von seiner Kraft
und Energie ausgibt. Danach kann dann
eine Leere entstehen, weil man zu viele
Gefühle gegeben hat und nicht im gleichen
Zug zurückbekommt. Man muss bei sich
selbst bleiben. Das war ein Prozess des
Lernens in der ersten Zeit mit öffentlichen
Auftritten. Vielleicht ist das auch der Grund
weshalb Opernsänger immer so viel essen.
Um die innere Leere wieder mit Genuß zu
füllen. Das ist eine gewagte Theorie, ich
weiss : ).


Woher nimmst du die Idee für deinen
Lieder?

Die Texte kommen aus Stimmungen und
Gedanken. Ich habe immer ein Buch bei
mir, wenn ich unterwegs bin, um sie festzuhalten.
Manchmal formt sich daraus
selbst ein Song. Oder wenn Akkorde erklingen,
die mich berühren, dann habe
ich oft schon die passenden Lyrics dazu
und die Melodien im Kopf. Sehr inspirierend
sind andere Künstler für mich. Eine
Zusammenarbeit ergab sich mit Richard
Horowitz, der die Filmmusik für Bernardo
Bertoluccis Himmel über der Wüste
komponiert hat und seinerzeit einen Golden
Globe dafür bekam. Er hat mich angeschrieben,
ob wir zusammen arbeiten
wollen. Es war eine große Ehre für mich.
So entstand der Song „Dark Nightingales“,
aus seiner Musik und meinem Gedicht, das
sich dann zur Musik in Melodien geformt
hat. Eine andere ganz besondere Zusammenarbeit
habe ich mit dem legendären
amerikanischen Beatpoeten Charles Plymell,
der im Kreise von Alan Ginsberg die
Undergroundkultur geprägt hat. Aus seinen
Gedichten sind „Galaxies of Blue“ und
der „Charles Plymells Bebop Blues“ entstanden.
Sehr inspirierend neben der Literatur
sind auch Kunst und Photographie
für mich. Sie nähren den kreativen Geist.
Aber die größte Inspiration ist das Leben
selbst, die Menschen, die Hoffnungen und
Ängste, und ganz besonders die Liebe.
Sehr viele meiner Texte sind Liebesgedichte,
voller Sehnsucht, aber auch Erfüllung
und Schmerz.
Einige Songs entstehen alleine, aber am
liebsten arbeite ich mit anderen Musikern
zusammen. Viele der ersten Songs entstanden
in Zusammenarbeit mit Hubsi
Widmann (eh. Schandmaul) und Georg
Weis. Dazu hat sich in der letzten Zeit eine
ganz wunderbare Zusammenarbeit mit
dem dänischen Musiker Jesper Lehmkuhl
(Farmen) ergeben, der mich mit seinen
dunklen Gitarrenmelodien tief berührt. Es
sind viele wunderschöne, düstere Songs
daraus entstanden.


Welche Kraft gibt dir das Singen?

Musik ist der Motor, der mich antreibt.
Würdest du sagen, dass dich das
Singen in deiner Art geprägt hat?
Ja, es hat mich geöffnet. Die Emotionen
nach aussen zu lassen und sich quasi nackt
mit all seinen Gefühlen der Welt zu zeigen
ist sehr hilfreich, um sich sich selbst zu
stellen. Sich zu sagen, so bin ich, mit meinen
Schwächen, Ängsten und Hoffnungen.
Und ich steh dazu.


In einer Gesellschaft in der es immer
mehr auf Erfolg ankommt. Es
immer mehr in irgendwelche Castings
Shows zieht. Wie siehst du
als Künstler diese Entwicklung?

Es gibt viele tolle Gesangstalente in Castingshows.
Und für Musiker, die keine
eigenen Songs komponieren, ist es sicher
eine gute Möglichkeit einen Platz für ihren
Ausdruck zu finden und mit den Songs
anderer zu arbeiten. Jedoch werden sicher
auch viele Talente zerstört, durch die
Methodik des Castings und der negativen
Zurschaustellung der Sänger und Sängerinnen.
Jeder Mensch ist ein Künstler auf
seine Art und muss seinen eigenen Weg
finden, um sich auszudrücken.


Es ist nicht irgendwie komisch,
wenn man in irgendwelchen Casting
Show den Plattenvertrag hinterher
geschmissen bekommt, und selbst
mit seiner ehrlichen Arbeit auf der
Strecke bleibt?

Ich war bisher noch nicht auf der Suche
nach einem Plattenvertrag. Wenn die Zeit
reif ist, dann wird es sich schon ergeben.
Kleine Labels haben sich schon angeboten,
aber ich warte auf den richtigen Moment
und das richtige Gefühl dabei. Ich habe
einen großartigen Produzenten für mein
Album und eine gute Auswahl an Songs,
und bald wird es sicher so weit sein, dass
sich die Möglichkeit zur Umsetzung ergibt.
Dinge ergeben sich dann oft von alleine,
wenn es richtig und an der Zeit ist. Ich forciere
nichts, Auftrittsangebote kommen zu
mir, ich muss nichts erzwingen. Darüber
bin ich sehr glücklich und dankbar. Und es
gibt mir Zeit zu wachsen.


Was hintert dich daran an einer Casting
Show teil zu nehmen?

Ich mag keinen Wettbewerb, jeder Mensch
hat etwas zu sagen und auszudrücken,
da gibt es keine Gewinner und Verlierer,
nur verschiedenen Persönlichkeiten und
Wege.


Was hintert dich dran, wenn es doch
der einfachen Weg ist die Öffentlichkeit
auf sich zu ziehen?

Meine Musik ist nichts für die breite Popöffentlichkeit.
Sie passt dort nicht hin und
wird ihren Weg schon weitergehen zu den
passenden Zuhörern, die die Tiefe dieser
Musik und Texte zulassen und nicht nur
unterhalten werden wollen. Das sollen andere
tun, die das besser können, und mich
unterhalten.


Ist es schwer für dich, aus der
Blickwinkel des Künstler in einer
Gesellschaft zu bewegen in der das
Kreative immer mehr unter geht?

Das Kreative geht vielleicht unter, weil ist
sehr mühsam ist Kunst zu machen, da die
finanziellen Mittel oft fehlen. So muss man
sehr viel Energie in sich finden, um trotz
der finanziellen Widrigkeiten nicht aufzugeben
und zu verzweifeln. Auch Konzerte
decken oftmals nicht einmal die Anreisekosten
zu den Clubs. Einzig Auftritte, die
von öffentlichen Auftraggeber organisiert
werden, lassen eine geringe Gage übrig,
die aber dennoch nicht den Aufwand meiner
Musiker deckt. Ich bin auch sehr dankbar
dafür, von professionellen Musikern
und lieben Menschen umgeben zu sein, die
die Sache mit ihrer Zeit und Leistung unterstützen,
um diese Konzerte überhaupt
möglich zu machen.


Wie wichtig ist dir Erfolg?

Erfolg ist für mich schon, wenn ich an
einem Konzert einen Menschen in seinem
Inneren berühren und ihn in eine andere
Welt entführen kann, um sich für einen
Moment in der Musik zu verlieren. Das gibt
mir Kraft, um weiterzumachen. Sicher ist
es auch toll, wenn man vor vollen Hallen
spielt, das sind wunderbare Momente.
Ein großer Erfolg wäre für mich, wenn ich
von meiner Musik leben könnte und mehr
Songs schreiben kann. Und nicht die zu
zahlende Miete oder Krankenversicherung
mein Hirn verstopft und mich panisch nach
Geld jagen lässt.


Welchen Weg willst du mit deiner
Musik gehen?

Die Musik wird klanglich noch etwas düsterer
werden und ich werde noch mehr
von mir selbst geben. Sie soll authentisch
sein. Wenn mich manche nach dem Konzert
fragen, ob ich denn nicht auch fröhliche
Songs machen kann, sage ich, dass
ich die fröhlichen aus dem Programm genommen
habe, weil ich mich dann fühle
als würde ich die Songs von jemand anderem
singen. Ich möchte mir treu bleiben.
Auftragssongs singe ich bei gebuchten
Gigs als Sängerin, bei meiner eigenen Musik
werde ich ich selbst bleiben. Nur dann
kann es etwas besonderes und eigenes
sein.


Was möchtest du mit deiner Musik
bewirken?

Ich möchte den Zuhörer in eine Phantasiewelt
mitnehmen und Bilder in seinem Kopf
entstehen lassen. Eine Auszeit aus dem
Jetzt, eine parallele Wirklichkeit, die allen
Dingen des Lebens innewohnt. Ich möchte
seinen Sinne öffnen und die Imagination
erwecken.
Ich möchte seine Seele entführen ...


Für wenn ist deine Musik gedacht?

Für jeden, der sie zulässt. Meine Hörer
kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen.
Jeder, den sie berührt, ist ein Geschenk
für mich.


Möchtest du noch etwas sagen, was
du schon immer los werden wollte?

Ich möchte allen sagen, die den kreativen
Drang haben etwas auszudrücken, aber
sich immer wieder die Frage stellen, ob es
gut ist was sie machen, ob sie nicht besser
mit vernünftigen Sachen Geld verdienen
sollten - macht weiter, bleibt euch treu,
seid fleißig in kreativer Arbeit an euch
selbst, dann wird daraus eure ganz eigene
Kunst entstehen. Und zweifelt nicht, vor
allem versucht nicht, es jedem Recht zu
machen, dann verliert ihr euch darin. Ich
glaube an euch, tut es auch.


by Holger Schnitker

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